Wie zwei alte Schachteln einmal versehentlich die Welt retteten [Rezension]

von Enzo Fileno Carabba

Steckbrief

  • Taschenbuch: 224 Seiten
  • Verlag: btb Verlag
  • erschienen: Deutsche Erstausgabe: 12. Mai 2014
  • ISBN-13: 978-3442747436
  • Titel der italienischen Originalausgabe: Con un poco de zucchero

Vorsichtig tastete sich Camilla zum Fenster vor und öffnete zuerst die schweren, mit Quasten versehenen Vorhänge und dann die Fensterläden. Das Licht zögerte einen Augenblick, bevor es hereinfiel, vielleicht aus Höflichkeit. Seit Jahren war es nicht mehr in das Zimmer gedrungen. Dann strömte es wie ein Fluss herein und überflutete die beiden geblendeten Prinzessinnen.

Durch die Bewegungen wirbelten sie Staub auf, der sich dank des Lichts in goldene Säulen verwandelte. Langsam tauchte das Zimmer aus der Vergangenheit auf. (Seite 187)

Darum geht es

Giulia und Camilla sind zwei Damen unbestimmten höheren Alters. Sie leben zurückgezogen in Florenz und verlassen ihr Haus nicht einmal zum Einkaufen. Lebensnotwendiges lassen sie sich liefern. Nahrungsmittel bringt Emiliano, der die beiden Frauen nach Strich und Faden über den Tisch zieht. Viel wichtiger ist jedoch ihr Dealer, denn die beiden alten Damen genehmigen sich jeden Tag eine Portion Koks. Als jener Drogenhändler stirbt, sind die Frauen gezwungen, sich neue Vorräte zu besorgen. Dabei treten sie eine Kette von Ereignissen los, die darin gipfeln, dass sie sich plötzlich dem Problem gegenübersehen, wie man eine Leiche loswird.

Meine Meinung

Jetzt wird es schwierig – denn im Grunde weiß ich nicht so recht, was ich von diesem Roman halten soll.

Die Geschichte ist schräg. Sehr schräg. Genau genommen habe ich selten etwas so Absonderliches gelesen.

Aber – und hier kommt der Punkt: Ich habe sie gelesen. Und zwar gerne.

Nicht in einem Rutsch. Dafür war es dann doch oftmals zu abstrus. Aber ich musste mich auch nicht zwingen oder hindurchquälen.

Und damit beginnt die Schwierigkeit meiner Einschätzung. Irgendwie mag ich das Buch. Die Verkettung der sonderlichsten Ereignisse hat mich an Max Frischs Homo Faber erinnert, wo der Protagonist bekanntlich auch von einem Zufall in den nächsten stolpert.

Die Quintessenzen der Romane sind allerdings nicht vergleichbar. Die Auflösung hier ist eine andere. Das Finale hat mich schmunzeln lassen, damit hatte ich so nicht gerechnet. Schade, dass ich es hier nicht verraten darf, denn damit könnte ich zumindest ein wenig begründen, was mein Fazit eher positiv als negativ ausfallen lässt.

Der unterschwellige Humor übte ebenfalls einen Reiz aus, der mich doch immer wieder zu dem Buch greifen ließ.

Doch eines muss klar sein: Der Roman bewegt sich meilenweit neben dem Mainstream. Das einleitende Zitat ist deshalb unüblich ausführlich ausgefallen, weil dieser kurze Abschnitt alles beinhaltet, was das Buch ausmacht: Kuriosität (höfliches Licht), inhaltlich die neu erwachte Lebendigkeit der Damen, die teilweise poetische Sprache. Ich liebe das Bild des Zimmers, das aus der Vergangenheit auftaucht.

Wer damit etwas anfangen kann, findet ein lesenswertes Buch vor.

Keineswegs sollte man sich aber vom Klappentext und/oder Titel in die Irre führen lassen: Der Klappentext verspricht meiner Meinung nach eine Geschichte, die sich in Richtung Cosy Crime bewegt. Der Slogan auf der Rückseite „Koks und Spitzenhäubchen“ erinnert nicht von ungefähr an Agatha Christie. Wer mit dieser Leseerwartung an den Roman herangeht, wird zwangläufig enttäuscht werden.

Fazit

Ein Roman, der sich inhaltlich und stilistisch fernab vom Mainstream der gängigen Unterhaltungsliteratur bewegt. Wer sich vom Klappentext in die Irre führen lässt und einen gemütlichen Krimi oder seichten Unterhaltungsroman für den Liegestuhl erwartet, wird enttäuscht werden. Man muss bereit sein, sich auf eine teilweise sehr skurrile Geschichte und den ungewöhnlichen Schreibstil einzulassen, dann wird man mit einem außergewöhnlichen Roman belohnt, der nicht den Lesegeschmack der breiten Masse bedient.