Schneeweiße Weihnacht, Tag 10

10.
Als Victoria einige Tage später die Kanzleiküche betrat, um sich einen Kaffee zu holen, fand sie ihren Sozius Marcus Froh dort beim Frühstück vor. »Guten Morgen.«
»Morgen.« Marcus hob den Blick von der Zeitung. »Das hier ist seltsam.«
Sie sah ihren Sozius fragend an. »Was meinst du?«
»Es gab einen Toten. Ist zufällig in einem Haus gefunden worden, das abgerissen werden soll. Man vermutet, es handelt sich um einen Obdachlosen. Irgendwie kommt mir das Gesicht bekannt vor, aber ich habe ihn in einem anderen Kontext gesehen. Ich zermartere mir gerade das Hirn.«
Victoria goss sich einen Kaffee ein, dann stellte sie sich hinter Marcus und sah ihm über die Schulter. »Zeig mal her.«
Sie blickte auf das Foto, blinzelte, sah genauer hin – doch es bestand kein Zweifel. Auch sie kannte das Gesicht. »Ich kann dir sagen, woher du den Mann kennst. Er ist dir vor vier Tagen auf der Treppe begegnet, als er die Kanzlei in einem Weihnachtsmannkostüm verließ. Das ist … das war mein Mandant.«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 9

9.
»Und es gibt keinen anderen Weg?«, fragte Manfred Wilhelm am Telefon und war hörbar unzufrieden mit der Entwicklung. Victoria hatte mehr Freude erwartet. Immerhin rettete sie ihren Mandanten gerade vor einem Strafverfahren.
»Wo ist das Problem? Sie müssen sich nur Mühe bei der Entschuldigung geben. Besser kann es für Sie doch eigentlich nicht laufen.«
»Sie verstehen das nicht«, grummelte es aus dem Hörer. »Ich wollte das regeln, ohne dass er mein Gesicht kennt oder meinen Namen erfährt. Is’ nie gut, wenn einer weiß, dass man Dreck am Stecken hat.« Er hielt kurz inne. »Sagen Sie, wenn ich mich nicht entschuldige und es zu einem Verfahren kommt, was erwartet mich da?«
»Kommt darauf an«, bemühte Victoria erneut die wichtigste Antwort des Juristen. »Sind Sie ein unbeschriebenes Blatt oder findet die Staatsanwaltschaft schon etwas in den Akten?«
»Tjaaaa.«
»Dann kommt es darauf an, was, wie oft, wann zuletzt.«
»Möglich, dass da was … Sie wissen schon, ich hab wenig Geld und manchmal will man sich ja auch was gönnen.«
»Dann kann die Strafe schon etwas höher ausfallen, aber was Sie genau erwartet, kann ich ohne präzise Kenntnis der Voreintragungen nicht einschätzen.« Und für zwanzig Euro würde sie sich mit Sicherheit nicht weiter in den Fall vertiefen. Weihnachten hin oder her.
»Muss ich drüber nachdenken.« Es klackte in der Leitung. Aufgelegt.
»Bitte sehr, gern geschehen.« Victoria warf einen bösen Blick auf das Telefon und legte den Hörer auf die Station zurück.

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 8

Tag 8 der Adventsgeschichte

8.
»So, Sie vertreten also den Einbrecher«, sagte Stefan Bern, nachdem Victoria sich vorgestellt und ihr Anliegen kurz skizziert hatte. »Und er will mir den Baum bezahlen, noch etwas obendrauf legen und ich soll die Sache vergessen.«
»Genau«, bestätigte Victoria erleichtert, weil ihr Gegenüber recht aufgeschlossen wirkte.
»Das wird nicht gehen.« Stefan Berns Miene verfinsterte sich. »Sehen Sie, wir haben hier immer mal wieder Diebstähle. Wenn ich Ihren Klienten damit durchkommen lasse, ist es ja wie eine Einladung für alle anderen. Versucht euer Glück, falls ihr geschnappt werdet, zahlt ihr halt den Baum, falls nicht habt ihr ihn gratis.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte, das wird nichts. Wenn er wenigstens persönlich aufgetaucht wäre. Ich weiß ja nicht einmal, wie er heißt.«
»Würde eine persönliche Entschuldigung die Sache für Sie ändern?«
»Möglicherweise. Wenn ich merke, dass er es aufrichtig meint. Sagen Sie ihm, er soll sich bei mir melden, dann sehen wir weiter. Ich gebe ihm bis morgen Zeit, so lange werde ich ihn nicht anzeigen.«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 6

Der Nikolaus präsentiert einen weiteren Teil der Adventskalendergeschichte

6.
»Hab den Diebstahl sofort zugegeben.« Er richtete die Kopfbedeckung wieder. »War ja offensichtlich. Dachte, die lassen mich laufen, wenn ich den Baum bezahle. Hammse aber nicht. Haben was von Antragsdelikt gesagt und dass der Eigentümer das entscheidet. Hab kein Wort verstanden. Deshalb bin ich hier.«
»Wissen Sie denn, was der Baum gekostet hätte?«
»Nee, ich hab den aus dem Bereich ganz hinten, da hängen keine Markierungen dran.«
»Wenn es sich um einen kleinen Baum handelte …«
»War nich groß, hab ja nur eine winzige Bude.«
»Wenn es sich also um einen kleinen Baum handelte, dann kann es sein, dass er unter die sogenannte Bagatellgrenze fällt. Dann wird ein Diebstahl nicht automatisch verfolgt, sondern nur, wenn der Geschädigte einen Strafantrag stellt.«
»Und genau das müssen Sie nun verhindern!«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 5

Im Adventskalender hat heute eine Dieb große Sorgen

5.
»Also, ich wollte halt einen günstigen Weihnachtsbaum«, begann Manfred Wilhelm. »Da bin ich nachts zu dem Verkauf. Da ist ein riesiger Zaun drum, aber ich kenn da vom letzten Jahr eine Stelle, da kommt man über einen Baum draußen mit ner Strickleiter prima aufs Gelände.«
»Das mit dem ›letzten Jahr‹ haben Sie aber hoffentlich nicht der Polizei gesagt?«, warf Victoria ein.
»Nee, bin ja nicht blöde«, entgegnete Manfred Wilhelm empört.
»Und warum haben Sie sich als Weihnachtsmann verkleidet? Nachts ist da doch sicher niemand mehr.«
»Wegen den Kameras. Das ist da gesichert wie Fort Knox.«
Was vielleicht ein klitzekleines bisschen verständlich war, falls es noch mehr Menschen wie ihren Mandanten gab.
»Und nen Weihnachtsmann verdächtig nie einer. War danach nicht mehr zuhause, sondern bin direkt hierher gekommen.«
»Verstehe.« Eigentlich nicht.
»Jedenfalls hatte ich im letzten Jahr eine Axt dabei. Das war viel zu anstrengend. Deshalb hab ich mir vonnem Kumpel diesmal eine Motorsäge ausgeliehen. Hätte nicht gedacht, dass die so laut ist. Ich habe den Baum gefällt, übern Zaun gewuchtet, bin mit der Leiter wieder rüber und schlepp den Baum zum Auto. Da warten aber schon die Bullen auf mich.« Er kratzte sich am Hinterkopf, mit dem Ergebnis, dass die Weihnachtsmannmütze ihm tief in die Stirn rutschte.

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 4

Spannende Weihnachtsunterhaltung in 24 Teilen

4.
»Nun«, antwortete Victoria gedehnt, »das kommt darauf an.« Die wichtigste Antwort des Juristen. »Eigentlich rechnen wir nach den gesetzlichen Vorgaben der RVG ab. Und eine Strafverteidigung …«
»Nein, nein«, unterbrach der Mann. »Keine Strafverteidigung. Na ja, irgendwie auch. Ich hatte irgendwie gehofft, Sie könnten mir helfen, dass es erst gar nicht so weit kommt.«
Für zwanzig Euro. Aber der Mann hatte Glück, dass Victoria noch immer neugierig auf die ganze Geschichte war und ohnehin einen Grund suchte, sich nicht um diesen langweiligen Vertrag kümmern zu müssen. Außerdem war Weihnachten, da hatte man mildtätig zu sein und wenn ausgerechnet der Weihnachtsmann um Hilfe bat, konnte sie ihn wohl kaum wegschicken.
»Also gut«, willigte sie ein. »Erzählen Sie mir, wo genau Ihr Problem liegt und ich schaue, ob ich Ihnen helfen kann.«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 3

Der mörderisch-winterliche Adventskalender


  1. Die hellste Kerze auf dem Adventskranz ist der nicht, stellte Victoria fest, ließ sich aber nichts anmerken.
    »Ist es nicht ziemlich früh für einen Weihnachtsbaum?«, fragte sie stattdessen. »So Anfang Dezember?«
    »Nee«, kam es im Brustton der Überzeugung zurück. »Später sind doch die schönsten Bäume schon weg!«
    »Aha.« Ein Dieb mit Ansprüchen.
    »Ganz klar! Wann kaufen Sie denn Ihren Baum? Etwa erst am Heiligabend vorm Supermarkt, wo Se dann nur noch Gestrüpp bekommen?«
    Gar nicht, dachte Victoria. Sie hatte seit Jahren einen Plastikbaum, der so echt war, dass er inzwischen sogar nadelte. Laut sagte sie: »Sie sind also erwischt worden und benötigen nun eine Strafverteidigung?«
    »Ja, nee, weiß nicht.« Manfred Wilhelm nestelte einen zerknüllten Geldschein aus der Tasche, strich ihn glatt und warf ihn vor Victoria auf den Tisch. Zwanzig Euro. »Könnse mir dafür eine Rechtsberatung geben?«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 2

Ein winterlich – mörderischer Adventskalender


  1. »Wilhelm mein Name«, brummte es aus dem Bart. »Manfred Wilhelm.« Der Weihnachtsmann schüttelte Victoria die Hand.
    »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
    Der Mann ließ sich mit einem Aufstöhnen auf den angebotenen Besucherstuhl fallen und Victoria musterte ihn unauffällig. Viel gab es nicht zu entdecken. Er sah genau so aus, wie man sich einen Mann im Weihnachtsmannkostüm eben vorstellte. Nur seine Stimme war nicht volltönend und tief, sondern eher dünn und kratzig. Victoria konnte nicht einmal behaupten, ihn oder seine Stimme besonders sympathisch zu finden. Aber nun war er schon vor ihrem Schreibtisch gelandet, also konnte sie sich auch anhören, was er wollte.
    »Wie kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich mit professioneller Höflichkeit und setzte sich auf der anderen Seite des Tischs in ihren Chefsessel.
    »Ich habe mir letzte Nacht einen Weihnachtsbaum besorgen wollen«, begann Manfred Wilhelm und zog nun immerhin den Bart vom Gesicht. Darunter kamen fahle Haut und tiefe Augenringe zum Vorschein. Tiefe Furchen um den Mund ließen ihn wie einen mürrischen Nussknacker aussehen. »Dafür bin ich zur Plantage rausgefahren. Sie wissen schon, wo man die Bäume selbst im Wald aussuchen kann. Hab nicht dran gedacht, dass so ’ne Motorsäge mordsmäßig viel Krach macht.«

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Schneeweiße Weihnacht, Tag 1

Eine spannende Adventskalendergeschichte

Herzlich willkommen zu meinem diesjährigen Adventskalender! In den kommenden vierundzwanzig Tagen kannst Du hier miterleben, wie Rechtsanwältin Victoria Stein einmal mehr nicht ganz freiwillig ein Verbrechen aufklärt.
Viel Spaß mit der winterlich-mörderischen Geschichte!


  1. »Der Weihnachtsmann steht mit einem juristischen Notfall bei mir am Empfang.«
    »Wie?« Victoria Stein hob den Blick von dem Vertragsentwurf, an dem sie gerade arbeitete. Verdattert sah sie ihre Angestellte an. So früh am Morgen schaltete sie noch nicht besonders schnell.
    »Ich habe den Weihnachtsmann vorne stehen.« Elena hatte sichtlich Spaß an der Miene ihrer Chefin. Ihre Augen funkelten. »Er will keinen Termin, sondern sofort mit dir sprechen.«
    »Aha.« Victoria schob das Schriftstück zur Seite. Ihre Neugier war geweckt. »Hat er gesagt, um was es geht?«
    »Er hat einen Weihnachtsbaum gestohlen.«
    »Und warum tritt er hier als Weihnachtsmann auf?«
    »Das war seine Tarnung.«

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Hamish Macbeth ist reif für die Insel [Rezi-Snack]

Hamish Macbeth ist reif für die Insel von M.C. Beaton erschienen bei Bastei Lübbe.

Eigentlich ist dieser in Schottland angesiedelte Krimi ein cozy crime von der Art, wie ich solche Geschichten mag. Eine einsame Insel, raues Wetter, aussagestarke Charaktere.

Allerdings stört mich eine Unart, die ich in letzter Zeit nicht zum ersten Mal antreffe. Da wird vom Verlag die Ersterscheinung auf den 31.05 2019 datiert, obwohl das Buch bereits 1988 geschrieben wurde. Krimis, in denen Ermittler ohne Google, Internet und Handy auskommen müssen, muten inzwischen historisch an. Wenn ich einen solchen Roman lese, weil ich mich bewusst dafür entschieden habe, ist das in Ordnung. Doch wenn ich eine Geschichte erwarte, die in moderner Zeit spielt und mein Ermittler dann mehrfach damit beschäftigt ist, ein Telefon zu suchen, dann ist das einfach ein dicker Minuspunkt auf der Liste.Liebe Verlage, macht doch bitte im Klappentext deutlich, dass es sich um ein Werk der – wenngleich auch jüngeren so aber doch auf jeden Fall – Vergangenheit handelt.