Halbgötterdämmerung [Rezension]

von Andreas Edelhoff

Steckbrief

  • Verlag: Gmeiner-Verlag
  • Taschenbuch: 284 Seiten
  • Veröffentlicht: 13. März 2019
  • ISBN-13: 978-3839223727

Die Mixtur brachte ihm den Tod. […]Sein Herz raste immer schneller, bis es völlig aus dem Rhythmus kam und schließlich stehen blieb. (Seite 7)

Worum geht es?

Mehrere Mediziner werden tot aufgefunden. Was zunächst nach Suizid aussieht, wirft bald mehr Fragen auf. Stefan Braun von der Essener Kripo ermittelt zusammen mit seinen Kollegen. Im Verlauf der Geschichte erhält der Leser zunehmend Einblicke in das Privatleben des Oberkommissars, das gegen Ende des Krimis auch Einfluss auf die Geschehnisse nimmt.

Meine Meinung

Ich sage in meinen Rezensionen selten etwas zum Cover, aber dieses hier sprach mich so deutlich an, dass ich es hervorherben möchte. Das ist der Ruhrpott, wie man ihn sich vorstellt. Das hat zwar mit dem Inhalt des Krimis – abgesehen vom Schauplatz – nicht viel zu tun, aber mir gefällt es trotzdem.

Der Titel wiederum hat sehr viel mit dem Inhalt zu tun. Das Wortspiel gefällt mir gut und dass die Buchstaben ‚T‘ durch das Bergmannssymbol ersetzt wurden, schlägt erneut einen gelungenen Bogen zum Schauplatz Ruhrgebiet.

Mag sein, dass ich als Kind des Ruhrpotts ein wenig voreingenommen bin, aber damit hatte mich der Autor schon einmal auf seiner Seite.

Dass ich ihn und seinen Krimi im Rahmen einer Lesung kennengelernt habe, hat meine Neugier auf den Roman noch einmal befeuert.

Ob der Ruhrpott-Krimi meine Erwartungen erfüllen konnte, erfahrt ihr im Folgenden.

Um es vorweg zu nehmen: Nicht alles hat mich überzeugt. Aber vieles schon. Das Wichtigste, was ein Buch leisten muss: Es darf nicht langweilig sein. Das war es zu keiner Sekunde. Es hat mich gut unterhalten und die Spannungskurve war angenehm. Nicht nervenzerfetzend, aber das muss ein Regiokrimi für mich auch nicht sein.

Der Protagonist Stefan und die diversen Nebenfiguren sind so weit gezeichnet, dass man sie als unterscheidbare Charaktere wahrnimmt, allerdings bleiben sie seltsam blass. Echte Emotionen, ein Mitfühlen im wahrstens Sinne des Wortes, kamen bei mir beim Lesen nicht auf.
Wenn der Leser mit den Romanfiguren nicht warm wird, führt das meist zu vernichtenden Urteilen. Dass dies hier anders ist, liegt an der Geschichte, die ich als schlüssig und interessant empfand (auch wenn mir das Verhalten des bis dahin sehr clever agierenden Täters am Ende ein Rätsel war).

Insgesamt hätten die Charaktere und auch die Geschichte mehr Tiefe haben können. Als Beispiel kommt mir eine Szene in den Sinn, in der Stefan zur Frühbesprechung eine ganz neue Theorie präsentiert. Ohne weitere Begründung erklärt er, er sei sich jetzt ganz sicher, dass es um … (hier Theorie hindenken) gehe. Es folgt keine Darlegung, wie er darauf kam, es folgt keine Begründung, es folgt allerdings auch keinerlei Reaktion seiner Kollegen. Kein Zweifel, keine Nachfrage, keine Zustimmung. Der folgende Satz lautet: Staatsanwalt Finken war überzeugt […] (Seite 123)
Ich frage mich seitdem, warum eigentlich.

Hier merkte man deutlich die Kürze der Geschichte. Das bringt mich zu einem Punkt, der mich wirklich, wirklich, wirklich gestört hat: Dieses Buch ist wesentlich kürzer als es erscheint. Ich zeige euch den Grund (Stellen, die etwas spoilern könnten, habe ich unkenntlich gemacht):

Die Idee, Szenen per Bergmannssymbol zu trennen, finde ich grundsätzlich hübsch. Aber hier hat der Setzer etwas übertrieben. Auf kaum einer Doppelseite findet man nicht ein bis zwei dieser großzügig bemessenen Platzverschwender, auf einigen Seiten gibt es sogar drei davon. Ich wage zu behaupten, dass dieser Krimi nur mit Mühe eine Länge von 200 Seiten erreicht hätte, wenn er ohne diese Mogelei gesetzt worden wäre.

Natürlich ist ein spannender Kurzkrimi allemal besser als ein langweiliger 300 Seiten Krimi, dennoch erwarte ich im letztgenannten Fall einfach mehr Komplexität. Und wenn eins wirklich zuverlässig zu einem dicken Minus in der Bewertung führt, so ist das eine enttäuschte Leseerwartung.
In diesem Fall tut mir das leid, da der Autor höchstwahrscheinlich nichts für diese Trickserei kann, doch ich bewerte die Leseerfahrung im Ganzen und da hat dieser Punkt eine nicht unerhebliche Rolle gespielt.


Der Schreibstil war überwiegend gut zu lesen.

Dies hier blieb zum Glück die Ausnahme:

Abermals öffnete sich die schwere Tür und Stefan schob einen Bürostuhl, den er sich aus dem Beobachtungsraum, in dem es so voll war, dass eh alle stehen mussten, geholt hatte, vor sich her. (Seite 231)

Keine Ausnahme, sondern dem Stil des Autors entsprechend, war es, Sätze nach der wörtlichen Rede unter Vermeidung der Worte „sagte“ oder „fragte“ fortzuführen.

„Jetzt beruhig dich erstmal, Dennis“, gab sich Stefan Braun ganz gelassen, […] (Seite 135)

Das ist Geschmacksfrage, ganz sicher. Ich mag so etwas allerdings nicht. Vor allem in Fällen, in denen der Nachsatz nur das erläutert, was ohnehin vorher gesagt wurde.

Davon abgesehen konnte man die Geschichte gut herunterlesen. Der umgangssprachliche Stil passt zur Atmosphäre des Potts. Hier ist eben alles etwas Bodenständiger.

Fazit

Etwas mehr Tiefe und einen deutlich ehrlicheren Buchsatz hätte ich mir gewünscht. So bleiben bodenständige Ruhrpottatmosphäre und eine interessante Geschichte, deren Spannungsbogen nie Langeweile aufkommen lässt.